Prof. Dr. André Rosenthal, Sammler
Jährling ist ein Spätromantiker im 20. und frühem 21. Jahrhundert, allerdings in moderner Form. Er steht in einer Traditionslinie zu Casper David Friedrich, Paul Cézanne und Lyonel Feininger. Jährling verwendet Elemente des Expressionismus und Kubismus. In den letzten zwei Jahrzehnten seines Schaffens spielt die Abstraktion eine immer größere Rolle. Die Streifenbilder von der Insel Rügen und der Ostsee, die in den 2000er Jahre entstanden, belegen dies eindrucksvoll. Auch Stadtansichten werden immer weiter abstrahiert und reduziert. Dies wird besonders deutlich, wenn man die beiden Bilder von Apolda „Die rote Stadt“ und „Apolda“ miteinander vergleicht. Im letzteren Bild von 2004 wird die ganze Stadtansicht nur noch durch abstrakte farbige Flächen angedeutet. Als ich 2015 Gerhard Richters „Stadtbild Madrid“ aus dem Jahr 1968 in der SFMOMA in San Francisco zum ersten Mal sah, fiel mir die Ähnlichkeit in der Reduktion der Stadtdarstellung sofort auf.
Es gibt andere überraschende Parallelen: René Magrittes „L’Empire des Lumières“ von 1954 könnte Jährlings „Dreierlei Licht“ beeinflusst haben, Piet Mondrians „Jacobskerk in Winterswijk“ von 1898 kommt dem Bild „Thüringer Dorf“ wunderbar nah und Ferdinand Hodlers „Der Genfer See von Chexbres aus“ von 1905 könnte in „Weiße Wolke Rügen“ schlummern. Der Weg zu Landschaften Ahrenshooper Künstler wie Alfred Partikel und Anna Gerresheim ist ebenfalls nicht weit.
Horst Jährling gehört nicht zu den prominenten und bekannten Malern in Deutschland. Dem offiziellen Kunstbetrieb in der früheren DDR entzog er sich. Er kam auch nicht aus der Leipziger oder Dresdener Schule, hatte nicht an der „Burg“ oder an der Ostberliner Kunsthochschule in Berlin-Weißensee studiert oder eine Meisterklasse belegt. In Gesprächen, die wir in den 1990er Jahren in seinem Atelier führten, deutete er an, dass er mit dem staatlich verordneten sozialistischen Realismus nichts am Hut hatte. Er wollte und konnte keine Kompromisse mit dem staatlichen System in der DDR machen. Damit blieb ihm der Weg einer akademischen Künstlerkarriere an einer der vier ostdeutschen Elitekunsthochschulen versperrt. Dies führte zwangsläufig zu einer gewissen Isolation: seine Bilder wurden nicht auf nationaler Ebene – z.B. den Dresdener Kunstausstellungen – gezeigt. Dieses Schicksal teilte er mit vielen anderen Malern und bildenden Künstlern in der früheren DDR.
In seinem Geburtsort Thüringen war und ist Jährling ein sehr geschätzter Künstler. Seine Bilder wurden seit den 1970er Jahren in Weimar, Jena, Apolda und anderen Städten Thüringens gezeigt, zuletzt 2022 in Weimar anlässlich des 100. Geburtstags des Künstlers. Kleinere Ausstellungen gab es 1979, 2000 und 2008 auch in Berlin. Aber einem breiteren Publikum in der DDR und später im wiedervereinten Deutschland war er nicht bekannt.
Aus diesem Grund freue ich mich sehr, dass der Kunstkaten in Ahrenshoop – ein Ort mit großer Tradition – im Sommer 2024 viele der Bilder zum ersten Mal einem größeren gesamtdeutschen Publikum vorstellt.